Bin sehr nachdenklich geworden, ob das wirklich das richtige Hobby für mich ist. Es kann eine Menge passieren, weil ein Pferd immer denkt, es wird gleich gefressen. Eine ganz blöde Sache ist das. Dann bricht es plötzlich zur Seite aus, weil eine Weinbergschnecke den Weg kreuzt und wenn ich Pech habe, steh ich falsch. Das ist nichts, was ich kontrollieren kann, niemand kann das.
Und das ist nun mal meine Ur-Angst. Dass irgendwas passiert, womit ich nicht rechne und dem ich nicht ausweichen kann, weil es viel zu schnell passiert.
Ist bestimmt was psychologisches und lässt sich auf mein Leben übertragen, irgendein Grundkonflikt, ein Master-Konflikt, die Mutter aller Konflikte. Ich lerne was für's Leben.
Inzwischen kann ich mich schon richtig harsch durchsetzen, wenn es nicht so will wie ich. Es tut mir auch nur noch ganz wenig leid, dass es sich meinem Willen beugen muss, obwohl mir ja immer lieber ist, dass alle zufrieden sind. Zufrieden ist das Pferd aber nur, wenn ich weiß, was ich will. Alles andere verunsichert es nur und dann wird's nervös, weil es denkt, ich kann es nicht beschützen vor den Weinbergschnecken. Eine Memme darf man nicht sein neben 600 Kilo Fluchtfleisch.
Heute früh die erste offizielle Reitstunde. Also mit einer richtigen Reitlehrerin, mit allem pipapo. Ich bin schon ganz früh da, um 8 Uhr, weil ich noch niemanden gefunden habe, der mir das Pferd putzt und trennst und sattelt. Und selber können die sich ja nicht anziehen.
Mir ist ein bißchen flau, weil es schon so schwülheiß ist. Ich bin ganz allein, bis auf die polnischen Pferdepfleger, die die Tiere auf die Weide bringen, die Ställe ausmisten und mit ihren Baggern das Heu rankarren. Sie grüßen freundlich, aber sie sehen auch nicht so aus, als wenn sie mir unter die Arme greifen wollten.
Nach einer halben Stunde bin ich mit allem fertig, ich habe eine weitere halbe Stunde Zeit, bis die Trainerin kommt. Die Spelunke hat noch nicht auf und mein halber Liter Wasser ist längst getrunken. So müssen sich Leute in der Wüste Gobi fühlen. Ich bin schweißgebadet, diese verdammte Reithose würde mich auch auf der Zugspitze wärmen.
Dem Pferd scheint es gut zu gehen, also denke ich, werde ich es mal aufwärmen, damit es nachher keine Kraft mehr hat, mich abzuwerfen. Nach drei Runden im Galopp immer um mich herum bin ich einer Ohnmacht nahe, so schwindelig ist mir. Aber ich darf jetzt nicht nachlassen, es soll platt sein, wenn ich draufsteige. Nach 15 Minuten bin ich praktisch nicht mehr unter den Lebenden, nur meine Hülle steht in der Mitte. Ich hör mich Sachen sagen, wie "Auf", "Galopp" und "Hopp", ich glaube, ich hab Schaum vorm Maul.
Als die Trainerin kommt, falle ich ihr in die Arme, mirissoheiss, ich kann nicht mehr, reiten schon gar nicht. Aber damit kommt man ja nicht durch. Sowas interessiert die nicht. Frauen, die reiten, können auch Weltkonzerne befehligen.
Und so Trullas wie ich, die den ganzen Tag vor dem Rechner sitzen, sind so steif, dass das Pferd das Gefühl hat, es hat einen Rasenroboter auf sich sitzen.
Dann kommt Bewegung in die Sache, denn eine Bremse, ein Mördervieh, handtellergroß, will das Pferd stechen. Es fängt an zu tänzeln, tritt mit der Hufe, aber die Trainerin ist die Ruhe selbst und ich bleibe auch ruhig und sitze das aus.
Daher kommt übrigens das Wort 'aussitzen'. Das ist eine hohe Kunst. Ist auch was für's Leben, das ich ab jetzt beherzigen werde. Hysterie nützt nie.
Die Trainerin ist auch im Morden gut, zerquetscht die Monster-Bremse am Pferdearsch mit einem Schlag und schon ist wieder Ruhe im Karton. Ich darf wieder absteigen und diesmal gelingt es mir, vornübergebeugt mein rechtes Bein über den Pferdehintern zu schwingen und elegant herunterzuspringen. Schade, dass es zu spät ist, mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.
Da ich noch niemanden gefunden habe, der das Pferd wieder auszieht und auf die Weide bringt, bin ich dann doch noch beinah ein Fall für die Notfallambulanz geworden. Auf dem Weg von der Weide zurück stach die Sonne derart, dass mir kurz schwarz vor Augen wurde. Aber dafür konnte das Pferd nichts.
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