Samstag, 20. Oktober 2018

Alles auf Anfang: Das Pferd und ich




Heute kramte ich meine Reitstiefeletten hervor, die seit über einem Jahr ungeputzt und ungenutzt im Schrank stehen, denn nachmittags war ein Spaziergang mit Pferden geplant.

Die Besitzerin des Pferdes hat ja nun zwei Pferde zu bespaßen, seitdem ihr Mann seine letzte Ruhestätte im Friedwald gefunden hat. Da meinte sie, es wäre gar nicht so schlecht, wenn sie nicht mit beiden Pferden nacheinander spazieren gehen müsste, sondern beide in einem Aufwasch gymnastizieren könnte.

Man muss wissen, dass für jemanden wie mich ein anderthalbstündiger Spaziergang mit Pferd dreimal so anstrengend ist wie ein Gang allein über die Felder und durch den Wald. Ich muss nämlich immerzu die Gegend scannen, ob ein Reh oder ein Wildschwein aus dem Hinterhalt unseren Weg kreuzt. Bricht das Pferd zu meiner Seite aus, bin ich geliefert.

Außerdem latscht man durch Sand und das bissel verdorrte Gras ist immer noch interessanter als alles andere, weshalb ich schnell bereute, nicht meine Handschuhe eingepackt zu haben. Mein Pferd konnte sich noch gut daran erinnern, dass es in meiner Begleitung der Chef im Ring ist. Andererseits habe ich durch den Leihhund gelernt, dass ich die Chefin bin. Er ist zwar viel kleiner, hat dafür aber mehr Zähne. 

Die erste Viertelstunde war ich damit beschäftigt, das Pferd vom grasen abzuhalten, bis es verstanden hat, dass ich das nicht will. Ich sagte es ihm auch oft genug und dann schaute es so zweifelnd, dachte wohl, 'Well, ich höre ihre Worte, aber ich spüre ihren Herzschlag, ha!' Und schon war der Kopf wieder unten. 

Die Pferdebesitzerin bot mir einen Pferdetausch an, ihres war kleiner und leichter, aber ich wollte lieber mit dem mir bekannten 600 Kilo-Oschi weitergehen, der entweder grasen oder hinter mir gehen wollte, mit seiner Schnauze an meinem Rücken, weil das so schön gemütlich für das Tier ist, aber sehr ungemütlich für mich in case of  Fluchtgedanken. Eins-zwei-fix wäre ich über den Haufen gerannt, daher Parole: du gehst neben mir. Du drängst mich auch nicht ab, wenn links von mir Gras wächst. 

Wenn man so im Fernsehen sieht, wie Mensch und Tier spazieren gehen, sieht das so locker und leicht aus und das ist es bestimmt auch für normale Menschen, die sich nichts dabei denken. Für unsereiner ist das hingegen eine ständige Interaktion, weil so ein Pferd eine durchsetzungsschwache Napfsülze auf 20 Kilometer wittert und dann will es ständig das Kommando übernehmen und ich muss das ständig verhindern. 

Nach 30 Minuten brauchte ich mal eine Pause und ich setzte mich auf eine Bank, die Pferdebesitzerin übernahm beide Tiere, die nun endlich grasen durften. Als ich wieder aufstand, erschreckte sich das eine Pferd und aus Solidarität das andere gleich mit und so sah ich live, wie das ist, wenn man zwischen zwei Pferden steht, die sich aus dem Staub machen wollen. Und wie wenig es braucht, damit sie sich animiert fühlen, ihrem unausrottbaren Fluchtinstinkt zu folgen. Es gibt Pferde, die sich vor gefährlichen Schnecken am Wegesrand durch gestreckten Galopp in Sicherheit bringen. 

Die Pferdebesitzerin blieb natürlich arschcool. 

Wir gingen weiter und nach einer Weile fing mein Pferd an zu kauen, womit es sagt, dass es sich wohlfühlt. Dann fühlte es sich noch wohler und schnaubte und schnaubte. Ich war voller Pferdepopel. 

Dann ging es mitten hinein in den Wald und auf einmal blieb es stehen, streckte den Kopf nach oben und schaute aufmerksam nach vorne. "Hier bleibt es immer stehen, irgendwas sieht es hier oder spürt es, keine Ahnung, was es sein könnte.", sagte die Pferdebesitzerin. Du meine Güte, jetzt auch noch Übersinnliches, das hatte mir gerade noch gefehlt. Grasen wollte es jedenfalls nicht. 

Im Wald spazieren zu gehen ist herausfordernd. Ein schmaler Pfad, rechts ein Zaun, links die Bäume, vor uns das andere Pferd - wenn jetzt was um die Ecke kommt, bleibt dem Pferd nichts anderes übrig, als direkt auf mich draufzufallen oder mich totzutrampeln, wenn es blindlings eine Kehrtwendung macht. 

Ich versuchte mich zu besänftigen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen: hat der Mensch irrationale Ängste liegt das an frühkindlichem Geschissel. Andererseits ist es nicht ganz irrational, was mir so im Kopf herumging. Also schon mit einem pathologisch ausgeprägten Fokus auf das, was schiefgehen könnte, aber... alles ist möglich. 

Heilfroh, wieder am Stall zu sein, die letzte Übung: vor der Box stoppe ich das Pferd, gehe als erste in die Box, das Pferd folgt und schon ist wegen Überfüllung geschlossen. Ich weiß ja nicht, weshalb man es nicht vor der Box abhalftern darf und das Pferd dann allein reingehen lässt. Aber nein, man muss da zuerst rein, das Pferd einmal um sich herumführen und wenn es jetzt stolpert? 

Im wahren Leben ist man natürlich in der Box für das Pferd so oder so gestorben, es will ja nix anderes, als zum Futtertrog. 

Am Ende fuhr ich wieder überglücklich nach Hause. Nächsten Frühling sitze ich wieder drauf. 

Wie alles anfing