Donnerstag, 24. November 2016

Zwei auf gleichem Weg


21 Uhr und es ist schon dunkel. Der Winter naht. Ach, wenn ich doch nur die Gabe hätte, im
Jetzt zu leben, anstatt mich die ganze Zeit auf etwas zu freuen oder zu bedauern, dass bald wieder etwas zuende ist. Ich bin krankhaft fokussiert auf Jahreszeiten. Dabei gibt es ja nur noch eine, mal länger hell, mal früher dunkel.

Jedenfalls gibt es nur einen Ort, an dem ich vollständig in der Gegenwart lebe. Alles fällt von mir ab, wenn ich auf dieses Pferd rauf muss. 

Ich werde längst nicht mehr geführt, sondern muss meine Wege alleine gehen, selbst in die überdachte Longierhalle, in die es nicht rein will, weil es dort dunkel ist und wegen der gefährlichen Raubtiere. Ich spüre seine Angst, es macht sich groß, hat die Ohren angelegt, kurz vorm scheuen ist es und ich sehe mich schon auf harten Beton fallen. Aber die Reitlehrerin C. hat kein Mitleid und legt auch noch Stangen hin, über die es stolpern könnte, damit ich mich daran gewöhne, dass es stolpert.

Bisher fast immer nur im engen Round Pen, musste ich heute auf den großen Platz. Schon eine Reithalle hat gigantische Ausmaße, der Platz draußen unter freiem Himmel jedoch scheint von ozeanischer Weite. Nur das Pferd und ich; C. kilometerweit entfernt. 


"Echt?", sage ich, "auf den großen Platz schon?" 
"Was denkst du denn? Reiten lernt man nur durch reiten."

Wie leicht das bei anderen aussieht. Ohne erkennbare Aktionen reiten Leute geradeaus, linksrum, rechtsrum. Kein Schwein weiß, wie schwer das ist, dieses Dominanz-Ding. Das Pferd geht nicht so gerne rechts rum, aber C. ist das natürlich egal.

Und dann wird man ja mit Worten zugetextet, deren Sinn sich mir nicht erschließt. Eine ganz eigene Sprache ist das. Inneres Bein, äußerer Zügel, Parade, halbe Parade, "„Es muss den inneren Schenkel annehmen und sich um ihn biegen, erst dann kann es an den äußeren Zügel herantreten.“ Versteht das hier irgendjemand (außer Madame Gaphisme?). Ich nicht. 

Hab auch genug damit zu tun, richtig zu sitzen, mitzuschwingen, zu treiben, anstatt mich nur tragen zu lassen, denn das ist auch streng verboten. "Du weißt schon, das reiten mit Sport zu tun hat?" Schwinge ich nicht mit, "begrenze" ich das Pferd, es wird immer langsamer, die Schritte werden kürzer und daran bin ich auch noch selber Schuld.

Die Zügel eng am Pferdehals lassen, damit es "Anlehnung" findet (was immer das ist), die Faust geschlossen, die Arme eng am Körper, die Schultern nach hinten und zusammen, damit ich aufrecht sitze. Reite ich eine Volte, kontrolliert der äußere Schenkel das Hinterbein, o.s.ä., der innere Schenkel begrenzt irgendwas anderes - ich bin komplett überfordert. 

Und stets zwingt mich C., das Pferd zu etwas zu zwingen, was es nicht will. Das will Feierabend und wenn ich in die Nähe des Ausgangs komme, geht es schnurstracks darauf zu und will am Rand des Platzes grasen. Immer wieder muss ich es antreiben, weg von dem Gras, weg vom Ausgang, rechts rum möglichst, weil es das nicht leiden kann und als ich ihm zuliebe aufgebe und es mit linksrum versuchen will, ist C. schnell wie der Blitz an meiner Seite und hält einen Vortrag, weshalb ich das auf keinen Fall erlauben darf und schickt mich sofort wieder in die Spur, es ist mörderisch anstrengend, "Ja, weil du dir selber im Weg stehst, mit deiner Angst dich durchzusetzen." 

Natürlich habe ich Angst, ich sitze auf 600 Kilo Dynamit und in Relation bin ich ein Fliegengewicht, ein wirres und irres Geschöpf, karusselig im Kopf vom Fachchinesisch, das keinen Weg findet von der Großhirnrinde in eine adäquate Umsetzung.

Reiten ist eine Multi-Tasking-Angelegenheit. Sauanstrengend. Ungeeignet für Weicheier. 
Und nichts macht mich glücklicher. 

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