Sonntag, 2. April 2017

Mal wieder im Stall

Nicht um zu reiten, das ist ein Ding der Unmöglichkeit, außer man würde mich mit Treppenlifter auf's Pferd und wieder runter bugsieren. Allein der Gedanke, ich müsste auf's Pferd steigen und später ja auch irgendwie wieder runterkommen (schon ohne Rücken eine eher peinliche Tortur für Mensch und Tier, wegen meiner fehlenden Eleganz), verursacht Symptome einer Querschnittslähmung. 

Nein, ich fuhr die Tochter meiner Freundin von gegenüber in den Stall, eine mitten in der Pubertät steckende und daher eisern schweigende Masse Hormone. Allein, wenn man sich ihr in Begleitung eines Tieres nähert (beispielsweise dem Leihhund), löst das ihre Zunge. Ich freu mich dann immer, mal wieder ihre Stimme zu hören, denn sie kommuniziert seit geraumer Zeit nur per Schulterzucken. 

Aber ich will nicht undankbar sein, die ersten 12 Jahre mit ihr waren himmlisch. Ein wiedergeborenes Schneewittchen, das niemals Wimperntusche und Lippenstift benötigen wird, immer ein Lachen im Gesicht. Nun also ohne den allergeringsten Anflug eines Lächelns, schlurft sie über die Straße und lässt sich ins Auto fallen. Jetzt ein Gespräch zu beginnen, ist völlig zwecklos; ich habe kein Tier dabei, also lasse ich es gleich bleiben. 

Im Stall angekommen, besuche ich mein Leih-Pferd auf der Weide. Man könnte sagen, es erkennt mich, aber ich meine Angstschweiß bei dem Tier zu erkennen und in ihren Augen lese ich "Du meine Güte, jetzt kommt die wieder!" 

Ich schleime mich mit Mohrrüben ein; leider wird sie von den anderen Pferden weggedrängt. Ich untergrabe das Mobbing und stärke ihre Position, indem ich allein sie füttere, in aller Öffentlichkeit. Das wird den anderen Stuten eine Lehre sein. So geht Change Management!

Später gehe ich zurück auf den Hof, setze mich auf die Terasse der Spelunke und genieße die Sonne und die Geräusche. Hufgeklapper wäre zum einschlafen noch besser als eine Glotze, aber ich werde wohl niemanden finden, der um Mitternacht vor meinem Fenster sein Pferd spazieren führt. 

Ich komme ins träumen, wie es wäre, ein eigenes Pferd zu haben. Eins, dem man galoppieren weggezüchtet hätte, traben nur ganz langsam und das am glücklichsten wäre, mich tagein, tagaus im Schritt, meinetwegen Arbeitstempo, durch die Landschaft zu tragen. Die Tochter von nebenan könnte drauf reiten, so oft sie will, damit es ausgelastet wäre. Als ich ihr davon erzähle, meint sie, das würde sie nicht machen, denn ein Kaltblut sei überhaupt kein Pferd, sie brauche was mit Pfeffer. Undankbares Gör!

Am Nebentisch wird gefachsimpelt, ein Mädchen erzählt, dass sie gleich zu einer Freundin reitet, um bei der im Garten Kaffee zu trinken, die wohne nur drei Kilometer entfernt und ich würde töten für die Gelegenheit, meine Freunde oder sonst jemanden mit dem Pferd zu besuchen. Die hat das perfekte Leben, denke ich gerade, da ändert sie das Thema. 

Ihr schwuler Bruder habe sich neulich den Eltern geoutet und wollte sich aufgrund der Reaktion der Mutter gegen den Baum fahren, aber sie habe ihn daran hindern können, das Haus zu verlassen. Inzwischen sei aber alles wieder in Butter, die Mutter hat sich entschuldigt und der Vater sei informiert, dass die "Phase" schon fünf Jahre dauert. Es gäbe in der ganzen Angelegenheit überhaupt nur ein Problem: sie und ihr Bruder haben denselben Männergeschmack. 

Dann folgt eine Begebenheit aus einer Schwulenbar, wo sie sich sehr wohl gefühlt hat, weil sie nicht "mit dem Arsch an der Wand lang musste" und zudem die "Nadel im Heuhaufen" gefunden habe, denn sie ist mit einem Date nach Hause, der Bruder ging leer aus. Allein das Hufgetrappel und Geschnaube der Pferde hält mich so in der Balance, dass ich nicht anfange zu schreien.

Später kommt die Besitzerin meines Leih-Pferdes, ich freu mich sehr, sie zu sehen. Sie holt das Pferd von der Weide und wir stehen eine Weile zusammen, reden, das Pferd hört zu.

Der perfekte Sonntag.

6 Kommentare:

  1. Liebe Annika, auch wenn es mich selbstverständlich einen Dreck angeht, mal ganz vorsichtig eine Frage (so von Mann zu Frau): Warum betreibst du eigentlich ein Hobby, dass offensichtlich einfach nur schrecklich für dich ist?

    Musste übrigens ziemlich lachen über die "eisern schweigende Masse Hormone". Habe eine 14jährige Tochter und fand die Beschreibung äußerst treffend.

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    1. Eine gute Frage und schwer zu beantworten. Es ist ein Kindheitstraum. Ich sah mich immer im gestreckten Galopp am Strand lang reiten (was nie passieren wird, wie ich heute weiß). Aber ich will es wenigstens versucht haben...

      Abgesehen von meiner Heidenangst, mit einer Querschnittslähmung zu enden, bin ich fast nirgendwo so zufrieden wie im Stall, vor allem an lauen Sommerabenden. Mir macht da alles Spaß, selbst das Gewühle im Dreck.

      Hm, ist wirklich schwer zu vermitteln.

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    2. Dir macht alles Spaß da. Außer dem Reiten offensichtlich. ;-)

      Aber du hast die Frage doch beantwortet: Du bist da zufrieden. Das ist doch das, worauf es ankommt. Ständig wird uns heutzutage suggeriert, dass man immer etwas "leisten" muss. In deinem Fall: Das man trainiert und besser wird und irgendwann am Strand galoppiert.
      Einen Sch**** muss man! Ich wünsche dir weiterhin viel Freude dort.

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    3. "Dir macht alles Spaß da. Außer dem Reiten offensichtlich. ;-)"

      Auf den Punkt! Musste sehr lachen. Sagen wir mal so: wenn ich nicht so ein Schisser wäre, würde mir auch das reiten einen Heidenspaß machen.

      Eines Tages wird es so kommen, oder auch nicht. Aber ich kann mit dem Pferd immer noch mit dem Pferd bekannt machen => putzen und all das. Ich liebe es.

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    4. Ups. Es sollte heißen: Aber ich kann mich immer noch mit dem Pferd bekannt machen.

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    5. Tja, schade, aber das kann man halt nicht erzwingen. Kann ich aber gut nachvollziehen. Ich war als Jugendlicher auch mal eine Woche in den Reiterferien. War super, außer dem Reiten halt. Denn obwohl ich in einem Alter war, in dem man sich tendenziell für unsterblich hält, war mir das sehr unheimlich. Ne, ne, nichts für mich. Genau wie Gleitschirmfliegen, Bungeejumping, Fallschirmspringen, Rafting etc.

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